Ein Irrtum ist da der Bürgermeisterin der Stadt Leuna Dr. Dietlind Hagenau unterlaufen, als sie nach einer alten Behördenentscheidung, einem sogenannten Planfeststellungsbeschluss vom 29.11.1934, suchte und fündig wurde. Demnächst feiert genau am 29. November 2017 dieses Dokument seinen 83. Geburtstag.
Im Jahr 2016 ging eine Meldung durch die hiesigen Medien. Sowohl „Mitteldeutsche Zeitung“* als auch „Leipziger Volkszeitung“** berichteten über das sensationelle Ereignis im Leunaer Stadtarchiv. Ein vergilbtes Papier ward gefunden, dem große Bedeutung beigemessen wird. Ein Dokument, was die Bürgermeisterin in der MZ vom 08. März 2016, folgendem Satz veranlasste, Zitat: „Also ich sehe es so, dass wir für den Weiterbau des Saale-Elster-Kanals noch immer Baurecht haben.“, Zitat Ende
Hat eigentlich irgendjemand das Dokument gelesen? Haben es die Berichterstatter wenigstens einmal durchgeblättert? Wenigstens die erste halbe Seite angeschaut, die als Foto in den eigenen Zeitungen erschienen ist. Offenbar nicht!
Für den AHA ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, woraus sich aus diesem Dokument ein bestehendes Baurecht für den Saale-Elster-Kanal ableiten soll. In dem angeblich alles entscheidenden Planfeststellungsbeschluss geht es nämlich nicht einmal um den Kanal.
Es befasst sich mit dem: „Ausbau des Saaledurchstichs in der Gemeinde Leuna“. Das ist bereits oben auf der ersten Seite –Zeitungsfoto- lesbar. Wenn es sich um den Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Saale-Elster-Kanals handeln würde, hätten dort die drei entscheidenden Worte stehen müssen: „Saale“, „Elster“ und „Kanal“. Tun sie aber nicht!
Mitglieder des AHA haben sich nun die Mühe gemacht und die Abschrift des 6-seitigen Dokuments gelesen. Daraus lässt sich anhand von nachfolgenden Textstellen ableiten, dass der Planfeststellungsbeschluss nichts mit der geplanten Kanalverbindung von Leipzig zur Saale zu tun hat:
Bereits die fotografierte halbe Seite in der MZ, später auch noch in anderen Zeitungen abgebildet, lässt anhand von Begriffen und Formulierungen, wie „Saaledurchstich in der Gemeinde Leuna“ und „Fährangelegenheit“, Zweifel aufkommen, dass es um den Kanalbau geht.
- „Saaledurchstich“ (Seite 1 Zeile 2): Was ist ein Durchstich? Laut Wikipedia bezeichnet Durchstich eine Technik im Strom- oder Flussbau zur Flussbegradigung eines mäanderförmigen Flusslaufes durch Abkürzen von Flusskurven. Die Definition eines Kanals ist selbstverständlich eine andere.
- Gebietsbeschreibung (Seite 1 Zeile 2):
Es geht um eine Baumaßnahme „in der Gemeinde Leuna“.
Der Saale-Elster-Kanal sollte von Leipzig zur Saale führen und bei Kreypau in die Saale münden. 1934 gab es die Gemeinde Leuna am linken Saaleufer und die Gemeinde Creypau am rechten. Durch den Bau des Saale-Elster-Kanal wurde Leunaer Gemeindegebiet nicht berührt, schlicht und einfach, weil die Gemeinde Leuna am anderen Ufer der Saale liegt.Zum besseren Verständnis muss man wissen, wo die Saale früher floss und Kenntnis von den Gemeindegrenzen haben. Der alte Flussverlauf ist immer noch die Grenze zwischen Göhlitzsch (Leuna) und Creypau (damals noch mit „C“ geschrieben).
Bis ca. 1870er bog die Saale – von Kreypau kommend – etwa in Höhe des heutigen Fährhauses scharf nach rechts ab und umfloss im weiten Bogen das gesamte Göhlitzscher Holz. Nahezu entgegengesetzt der heutigen Fließrichtung kam sie unterhalb des Fährhauses wieder an, querte die Stelle des heutigen Flussbetts und führte mit dem „Toten Saalearm“ eine weite Schlinge nach links aus. Ungefähr ab der Höhe des Plastikparks stimmen alter und neuer Saaleverlauf wieder überein.
Es fanden in diesem Gebiet zwei Begradigungen statt, die erste in den 1870er und die zweite Mitte der 1930er Jahre. Die alten Gemarkungsgrenzen (Gemeindegrenzen) blieben dennoch bestehen. Somit hat Göhlitzsch (Leuna) mit dem „Holz“ ein rechtssaalisches Territorium und Kreypau dehnt sich linkssaalisch bis zur Mitte des „Toten Arms“ aus. - Betroffene im Planfeststellungsbeschluss (Seite 1 Zeilen 7-13):
„Der Gemeindekirchenrat zu Creypau, der Oswald Teichmann in Creypau, der Waldemar Jauck in Creypau, die Gemeinde Creypau, der Ulrich Seibicke – man ahnt es schon – in Creypau…“ und die „Gemeinde Leuna“.
Namen anderer Orte, wie Günthersdorf, Kötschlitz, Dölzig, Burghausen, Rückmarsdorf, die Stadt Leipzig, alle am Kanal gelegen, werden nicht im Papier erwähnt.
Wenn es im Dokument um den Bau des Saale-Elster-Kanals gehen würde, so hätten die sich o.g. Gemeinden selbst, die Grundeigentümer aus diesen Orten und die Stadt Leipzig mit Sicherheit für ihre eigenen Interessen im Planfeststellungsverfahren eingesetzt. Sie taten es nicht, weil sie nicht betroffen waren.
Anhand der alten Kreypauer Grundbücher ließe sich belegen, dass es ausnahmslos um Grundstücke zwischen Fährhaus und Eisenbahnbrücke Leuna geht. - Fähre (Seite 1 Zeile 16):
„Die Fährangelegenheit“ Wozu braucht ein neu zubauender Kanal eine Fähre? Er benötigt sie nicht. In der geplanten Kanaltrasse finden sich in Kreypau und Wüsteneutsch die Reste zweier unvollendeter Brücken. Und weiter (Seite 4 Pkt. 9. Zeilen 11-19): „Bei Km 0,480 besteht eine Personenfähre. Diese wird von der Gemeinde Leuna betrieben und zwar auf Grund des Fährpachtvertrages vom 8. Februar und 5. März 1929 mit Nachträgen.“ Es handelt sich um die ehemalige Fähre zwischen Leuna und dem Göhlitzscher Holz. Davon zeugen heute die Betonpfeiler und das Fährhaus.
Die Saalekilometrierung hat im Laufe der Zeit einige Änderungen erfahren. Heute ist es Flusskilometer 121,222, zum Zeitpunkt der Planfeststellung war es Flusskilometer 0,480. Davor trug die Stelle die Bezeichnung: „Flusskilometer 60,145“. Dass es ich um ein und dieselbe Örtlichkeit – sprich Fähre – handelt, kann anhand Fährpachtvertrages der Gemeinde Leuna vom 8.2. und 5.3.1929 (mit Nachträgen) nachvollzogen werden.Und weiter (Seite 4 Pkt. 9. Zeilen19-24): „Es wird beabsichtigt, im Einvernehmen mit der Gemeinde Leuna, diese Personenfähre als Wagenfähre auszubauen und zu betreiben, um den Eigentümern von Creypau, welche im Saalebogen gelegene Grundstücke besitzen, die Zufahrt auf ihre Grundstücke zu ermöglichen.“
Das mit „Saalebogen“ bezeichnete Gebiet liegt heute zwischen der Saale und dem „Toten Saalearm“. Die dortigen Felder und Wiesen gehören auch immer noch zur Gemarkung Kreypau („An den Wiertwiesen“ und „In den Ruthen“).
Den Bauern aus Kreypau sollte damals weiterhin eine akzeptable Zufahrt auf ihren Grund und Boden gewährleistet werden. Da der „Landweg“ wegen der Flussbegradigung nicht mehr möglich war, sollte die Fähre wagentauglich gemacht werden. - Hochwasser (Seite 3 Zeile 1):
Hier findet sich erstmals im Dokument der „Elster-Saalekanal“ auf. Und gleich nochmal (Seite 3 Zeile 5). Aber in einem völlig anderen Zusammenhang!
Der Gemeindeschulze von Creypau erklärte: „Wir befürchten eine Erhöhung und einen langsameren Abfluß des rückgestauten Hochwassers und zwar durch den Bau des Dammes des Elster-Saalekanals“. Darauf die Erwiderung seitens der Behörde: „Die Fragen bezüglich eines erhöhten Rückstaus ist nicht in diesem Verfahren zu erörtern, sondern in dem Verfahren, das den Ausbau des Elster-Saalekanals betrifft“.
Hier steht es schwarz auf weiß – besser blau auf gilb – es geht NICHT um den Bau des Kanals.Und weiter (Seite 4 letzte Zeile, Seite 5 Zeilen 1-6). „Die Ansprucherheberin [Gemeinde Kreypau] macht selbst geltend, daß lediglich durch den Bau des Dammes des Elster-Saale-Kanals eine Erhöhung und ein langsamerer Abfluß des rückgestauten Hochwassers befürchtet wird. Die Regelung dieses Anspruches gehört daher nicht in dieses Verfahren, sondern in das Ausbauverfahren des Elster-Saale-Kanals.“
- Grundwasserverhältnisse (Seite 3 Pkt. 5. Zeilen 7-12):
Gemeindeschulze von Creypau: „Die Grundwasserverhältnisse werden durch den Saaledurchstich wesentlich verändert.“ Erwiderung: „Wir können eine Veränderung der Grundwasserverhältnisse durch den Saaledurchstich nicht anerkennen.“
Es handelt sich um eine befürchtete Veränderung des Grundwasserspiegels infolge der Saalebegradigung. - Anspruch auf Beibehaltung des ursprünglichen Saaleverlaufs (Seite 3 Zeilen 19 – 22):
„Es liegt keine Verletzung des Rechts vor, insbesondere haben die Antragsteller [Ammoniakwerke] nicht das Recht, daß die Stromsaale ihren jetzigen Lauf beibehält.“
Und weiter (Seite 5 Zeilen 24-26): „Insbesondere hat die Ansprucherheberin [Ammoniakwerke] kein Recht, zu verlangen, daß die Stromsaale – wie bisher – an ihren Grundstücken vorbeiläuft.“
Damit werden die Ansprüche auf Beibehaltung des Saaleverlaufs – an der alten Rollschuhbahn und unterhalb von Ufer- und Windmühlenstraße entlang – zurückgewiesen. Es geht wiederum explizit um eine Baumaßnahme am Saalestrom. - Göhlitzscher Holz, Verfüllung Saalealtarm und Aufforstung (Seite 3 Pkt. 7 Zeilen 23-38):
„Die Forderung muß abgelehnt werden, weil…“ Die Gemeinde wollte aufforsten und begehrte dazu Mutterboden (in einer Schichtstärke von 50 cm).
Und weiter (Seite 5 Zeilen 29-35): „Mit dem anfallenden Baggerboden soll der alte, etwa seit 1870 totgelegte, im Eigentum der Gemeinde Leuna stehende Saalearm, soweit der Baggerboden reicht, auf Niveauhöhe aufgefüllt werden.“ „Die Gemeinde beabsichtigt, die Auffüllung aufzuforsten.“ „Schon allein durch die unentgeltliche Auffüllung des toten Saalearms erwächst der Gemeinde ein erheblicher Vorteil.“
Das 1870 abgetrennte Altgewässer am Göhlitzscher Holz sollte verfüllt werden, praktischerweise gleich mit dem Material, das in unmittelbarer Nachbarschaft anfiel. Damals legte man eben (noch) Wert auf kostensparendes Bauen. - Wasserspiegelgefälle (Seite 5 Zeilen 7-10):
„Durch die Herstellung des Durchstichs wird der Saaleverlauf um 920 – 730 = 230 m verkürzt und das Wasserspiegelgefälle von 0,30 0/00 auf 0,40 0/00 verstärkt.“
Es geht also konkret um einen Durchstich, also um eine Flussbegradigung. Mit der Verkürzung der Flusslänge kommt es zwangsläufig zur Steigerung des Gefälles.
Ein Kanal sollte idealerweise kein Gefälle aufweisen. Höhenunterschiede in einem Kanal werden durch Schleusen ausgeglichen.
In der Rechnung zur Saaleverkürzung liegt offenbar ein Schreibfehler im Original vor. - Abschlussdamm und stillzulegenden Saalearm (Seite 5 Zeilen17-20):
„In dem Abschlußdamm, der das neue Flußbett von dem stillzulegenden Saalearm trennen soll, wird von der Unternehmerin ein genügend großer Durchlaß angebracht, um einen ausreichenden Wasserwechsel im Altarm der Saale zu ermöglichen.“
Damit wird der Damm beschrieben, der heute in Höhe des Fährhauses Saale und Saalealtarm trennt und über den der Saaleradwanderweg führt.
Und weiter (Seite 5 Zeilen21-24): „Die Unternehmerin ist nicht verpflichtet, den Altarm von Zeit zu Zeit zu entschlammen, oder sonstige Maßnahmen zu treffen, die eine Beeinträchtigung benachbarter Grundstücke der Ansprucherheberin verhindern.“
Es geht um die Auswirkungen auf den – heute so genannten – Toten Saalearm.
Sollten die letzten Zweifel noch nicht ausgeräumt sein, empfiehlt der AHA als erstes eine Prüfung der Quellen vorzunehmen, die im Planfestellungsbeschluss genannt sind. Die alten Grundbücher der Flur Kreypau können eingesehen werden, um zu ermitteln, wo die namentlich aufgeführten Eigentümer ihre Wiesen und Felder hatten.
Weiterhin empfiehlt es sich den Fährpachtvertrag der Gemeinde Leuna vom 08.02. bzw. 05.03.1929 zu prüfen und die Aufforderung zur Stellungnahme seitens des Regierungspräsidiums mit dem zugehörigen Antwortschreiben der Gemeinde Leuna zur Planfeststellung vom 21.09.1934 (Blatt 9 und 10 der Beiakten I im Planfeststellungsverfahren). Es ist davon auszugehen, dass diese Dokumente sich im Fundus des Stadtarchivs Leuna befinden.
Wozu diente also der vorliegende Planfeststellungsbeschluss?
Es sollte die Saale begradigt und damit verkürzt werden.
Wo sollte dies geschehen?
Zwischen Fährhaus Leuna und der Eisenbahnbrücke.
Was wird im Beschluss nicht behandelt?
Der Saale-Elster-Kanal.
Kann aus dem Planfeststellungsbschluss ein Baurecht für den Saale-Elster-Kanal abgeleitet werden?
Nein, nicht einmal mit viel Phantasie !
Der AHA fordert nun die Bürgermeisterin der Stadt Leuna auf, nicht nur den aus der Nazizeit stammenden Planfeststellungsbeschluss vom 29.11.1934 zu prüfen, sondern alle diesbezüglichen Dokumente und Absichten. Abgesehen davon, dass es sehr umstritten sein sollte ein Nazidokument zu Grunde zu legen, gilt es klar festzustellen, dass er auch räumlich nichts mit einem Saale-Elster-Kanal zu tun hat.
Weitere Angaben und Details sind unter folgendem Link nachlesbar:
https://www.leuna-kritisch.de/irrtum-vom-amt-saale-und-saale-elster-kanal-verwechselt/
Ferner besteht bei Interesse die Möglichkeit mit dem AHA unter folgender Anschrift Kontakt aufzunehmen:
Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. – (AHA)
Regionalgruppe Merseburg-Leuna-Bad Dürrenberg
/Umweltbibliothek Merseburg „Jürgen Bernt-Bärtl“
Weiße Mauer 33
06217 Merseburg
Tel.: 0176 – 52562945
Fax.: 0180-5684 308 363 (deutschlandweit zum Ortstarif)
E-Mail AHA: aha_halle@yahoo.de
E-Mail UBM: ubh2004@yahoo.de
Quellen:
* Mitteldeutsche Zeitung vom 08.03.2016: „Saale-Elster-Kanal Baurecht seit über 80 Jahren?“
** Leipziger Volkszeitung: vom 11.05.2016: „Saale-Elster-Kanal erlebt Comeback – Alte Papiere von 1934 befeuern neue Pläne“
Bild 1: vor dem Bau (Mitte der 1920er Jahre) Blick von Osten auf die Gartenstadt Leuna (Quelle: Landesarchiv Sachsen-Anhalt I_525_FS_Nr_G_4901), blaumarkiert: Saaledurchstich
Fazit: Das Dokument führte zum Baurecht. Es wurde gebaut. Das Baurecht ist erloschen.
Hier das Ergebnis, Bild 2: