Der Arbeitskreis Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) sieht in Martin Luthers Anschlag seiner 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg am 31.10.1517 einen würdigen Anlass im Jahr des 500 Jahrestages des Ereignisses, den großen, bedeutsamen, aber auch nicht ganz umstrittenen Reformator umfassend zu gedenken.

Gerade Mitteldeutschland mit seinen Lutherstädten Eisleben und Wittenberg ist dafür ein ganz besonderer würdiger Ort zum Feiern und Gedenken.

Jedoch sieht der AHA die dringende Notwendigkeit, die Belange des Umwelt-, Natur- und Landschaftsschutzes nicht außer Acht zu lassen. Im Falle des geplanten „Festwochenendes zum Reformationsjubiläum“ am 27. und 28.05.2017 erkennt der AHA jedoch massive Verstöße gegen diese dringend erforderliche Notwendigkeit. Die Durchführung eines „evangelischen Open- Air-Gottesdienst – auf der 40 Hektar großen Festwiese vor den Toren Wittenbergs“ ist aus Sicht des AHA ein massiver Eingriff in einen bedeutsamen Teils der Aue des insgesamt 1.094 Kilometer langen Stromes Elbe. Die Tatsache, dass neben der 40 Hektar Kernfläche noch zahlreiche zusätzliche Belastungen für den Abschnitt der Elbe und ihrer Aue in der Lutherstadt Wittenberg vorgesehen sind, wozu zum Beispiel eine Pontonbrücke sowie ein gerechnetes Aufkommen von 100.000 Besucherinnen und Besucher gehören, verschärft zusätzlich die Situation während der Hochzeit der Brutzeit.

Für dieses gigantische Vorhaben, wozu die Evangelische Kirche in Deutschland und der Deutsche Evangelische Kirchentag gemeinsam einladen, greift man unverantwortlicher Weise in ein 8.422 ha großes Schutzgebiet nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie „Elbaue zwischen Griebo und Prettin (FFH0073)“ und in das ca. 5.206 ha großes Landschaftsschutzgebiete „Elbetal – zwischen Wittenberg und Bösewig“ ein.

In der vom Land Sachsen-Anhalt herausgegebenen Beschreibung von Natura 2000-Gebieten ist zur „Elbaue zwischen Griebo und Prettin (FFH0073)“ ist folgendes vermerkt, Zitat:

„Zwischen Griebo und Prettin erstreckt sich ein weitgehend waldfreier Abschnitt des Elbetals. Er wird charakterisiert durch weite Wiesenflächen, in die Altwässer, Kolke und Flutrinnen eingebettet sind. Das FFH-Gebiet erfasst diese Bereiche und beschränkt sich weitgehend auf die aktuelle Überschwemmungsaue.“, Zitat Ende

Weiterhin beinhalten die Beschreibungen noch folgende Angaben zu Lebensraumtypen, Fauna und Flora, Zitat:

Lebensraumtypen und Flora

An der Elbe fallen im Sommer große Flächen in den Buhnenfeldern trocken, so dass sich die ephemeren Bestände des FFH-LRT 3270 Flüsse mit Schlammbänken (716 ha) ausbilden können. Hier entwickeln sich Fluren mit Rotem Gänsefuß (Chenopodium rubrum), Hirschsprung (Corrigiola litoralis), Schlammkraut (Limosella aquatica), Portulak (Portulaca oleracea) oder Kleinem Flohkraut (Pulicaria vulgaris). Aus Bleddin gibt es an Schlammflächen an Altwassern Wiederfunde des Scheidenblütgrases (Coleanthus subtilis) als Art gemäß Anhang II der FFH-Richtlinie, die bislang als erloschen galten. In Gräben und Fließen tritt der FFH-LRT 3260 Flüsse mit Wasservegetation (10 ha) u. a. mit Kamm-Laichkraut (Potamogeton pectinatus), Pfeilkraut (Sagittaria sagittifolia), Berle (Berula erecta) und Bachbunge (Veronica beccabunga) auf. In den Altwässern ist der FFH-LRT 3150 Eutrophe Seen (436 ha) entwickelt. Die sehr vielgestaltige Vegetation wird von Froschbiss (Hydrocharis morsus-ranae), Wassernuss (Trapa natans), Seekanne (Nymphoides peltata), Ährigem Tausendblatt (Myriophyllum spicatum), Glänzendem und Stumpfblättrigem Laichkraut (Potamogeton lucens, P. obtusifolius) und Gemeinem Wasserschlauch (Utricularia vulgaris) aufgebaut.

Da sich die typischen Auenwiesen erst im Raum Wittenberg ausprägen, dominieren im Gebiet die Bestände des FFH-LRT 6510 Magere Flachland-Mähwiesen (936 ha) mit Glatthafer-, Fuchsschwanz-, Rotschwingel- und Honiggraswiesen. Aus der Fülle der Arten sei hier nur auf Wiesen-Labkraut (Galium album), Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense), Knolligen Hahnenfuß (Ranunculus bulbosus), Großen Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis), Kümmel-Silge (Selinum carvifolium) und Silau (Silaum silaus) verwiesen. In trockenen und mageren Ausbildungen erscheinen Gemeine Hainsimse (Luzula campestris), Färber-Scharte (Serratula tinctoria) oder Kleine Wiesenraute (Thalictrum minus). Die Bestände des FFH-LRT 6440 Brenndolden-Auenwiesen (180 ha) weisen Arten wie Langblättrigen Blauweiderich (Veronica maritima), Brenndolde (Cnidium dubium), Goldschopf- und Vielblütigen Hahnenfuß (Ranunculus auricomus, R. polyanthemos) auf. Die Bestände des FFH-LRT 6120* Trockene, kalkreiche Sandrasen (< 1 ha) kommen sehr kleinflächig auf Dünen als Rauhblattschwingel-Rasen mit kennzeichnenden Arten wie Zierliches Schillergras (Koeleria macrantha), Großer Knorpellattich (Chondrilla juncea) und Rispen-Flockenblume (Centaurea stoebe) vor. Der Wald tritt im Gebiet im Vergleich zum Offenland weitgehend zurück und reduziert sich auf kleine Restbestände der Hartholzauenwälder und die Weichholzauenwälder als Galeriebestände an der Elbe. Der FFH-LRT 91F0 Hartholzauenwälder (158 ha) schließt zahlreiche Gehölze auf nassen bis wechseltrocken Standorten ein, die sich aus Stiel-Eiche (Quercus robur), Gemeiner Esche (Fraxinus excelsior), Flatter-Ulme (Ulmus laevis), Winter-Linde (Tilia cordata), Feld-Ahorn (Acer campestre) und den Obstarten Wild-Apfel (Malus domestica) und Wild-Birne (Pyrus communis) zusammen setzen. Silber- und Fahl-Weide (Salix alba, S. x rubens) bauen gemeinsam mit Schwarz-Pappel (Populus nigra) die Baumschicht des FFH-LRT 91E0* Weichholzauenwälder (185 ha) auf. In der Strauchschicht wächst Korb-Weide (Salix viminalis). Die Feldschicht wird von Arten der Feuchtstaudenfluren und Röhrichten, wie Blutweiderich (Lythrum salicaria), Gemeinem Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris), Rohr-Glanzgras (Phalaris arundinacea) und Uferstauden, wie Katzenschwanz (Leonurus marrubiastrum), gebildet.

Fauna

Biber (Castor fiber) und Fischotter (Lutra lutra) besiedeln alle Gewässer des Gebietes. Diesen kommt dabei nicht nur die Bedeutung als dauerhafter Lebensraum für beide Arten zu, sondern auch die Funktion als wichtige Verbundtrasse zwischen angrenzenden Habitaten. Quartiermöglichkeiten für Bäume bewohnende Fledermausarten sind auf Grund des Fehlens ausreichend großer Altbaumbestände stark eingeschränkt. Als Nahrungshabitat spielt das Gebiet aber wegen des Vorhandenseins zahlreicher Gewässer für vergleichsweise viele Arten eine große Rolle. Neben dem Großen Mausohr (Myotis myotis) kommen hier v. a. typische Arten der Flussauen wie Wasser-, Rauhaut- und Mückenfledermaus (Myotis daubentonii, Pipistrellus nathusii, P. pygmaeus) sowie Großer Abendsegler (Nyctalus noctula) vor.

Die Überschwemmungsauen bieten dem Moorfrosch (Rana arvalis) gute Bedingungen für eine weite Verbreitung. Dagegen wurden der Kammmolch (Triturus cristatus) lediglich vereinzelt in Kleingewässern der Auenwälder gefunden. Auch die Knoblauchkröte (Pelobates fuscus) nutzt nur wenige Gewässer in Deichnähe zur Fortpflanzung. Die Funde der Rotbauchunke (Bombina bombina) konzentrieren sich im Bereich um Pretzsch-Bösewig-Bleddin. Nach dem Hochwasser 2002 wurde sie auch wieder in flachen Wiesensenken bei Wartenburg und im Wittenberger Luch festgestellt. Ebenso sind frühere Vorkommen der Kreuzkröte (Bufo calamita) auf dem ehemaligen militärischen Übungsgelände bei Iserbegka infolge der stattgefundenen Sukzession nach Einstellung des Militärbetriebes nicht mehr vorhanden, während das punktuelle Vorkommen des Laubfrosches (Hyla arborea) um Bösewig immer noch sehr individuenstarke Bestände aufweist. Rufende Wechselkröten (Bufo viridis) wurden bisher lediglich bei Bösewig festgestellt.

Die Elbe ist als Wandergewässer des wieder eingebürgerten Lachses (Salmo salar) anzusehen, von dem es ober- und unterhalb des FFH-Gebietes Nachweise gibt. Der Fang semiadulter Flussneunaugen (Lampetra fluviatilis) lässt die Frage offen, ob es sich um zum Meer abwandernde Tiere handelt, oder ob sie im Gebiet zur Fortpflanzung schreiten. Geeignete, flach überströmte Kiesbänke wären dafür vorhanden. Der Rapfen (Aspius aspius) kommt in allen Altersgruppen in diesem Elbeabschnitt vor, so dass auch Reproduktion stattfindet. Auch der Stromgründling (Romanogobio belingi) ist im Fluss präsent. Die zahlreichen Altwässer und Altarme im Gebiet werden in Abhängigkeit von ihren Alterungsstadien ebenfalls von einer auentypischen und artenreichen Fischfauna besiedelt. Hier und in einigen Kolken kommt der Bitterling (Rhodeus amarus) vor, da Muscheln der Gattungen Unio und Anodonta vorhanden sind, die der Reproduktion dieser ostracophilen Fischart dienen. Auch in den großen Altarmen Durchstich und Wendel wurde der Bitterling gefangen. Im Auslauf der Wendel konnte der Schlammpeitzger (Misgurnus fossilis) gefunden werden. Offenbar besiedelt er auch die Alte Elbe Bösewig, denn wiederholt wurden dort nahrungssuchende Schwarzstörche (Ciconia nigra) im Flachwasser beim Fang und Verzehr dieser Fische beobachtet.

Exuvienzählungen im Jahre 2006 belegen, dass die Vorkommen der Grünen Keiljungfer (Ophiogomphus cecilia) in mehreren Elbeabschnitten gute Erhaltungszustände aufweisen. Die Asiatische Keiljungfer (Gomphus flavipes), eine stenöke Fließwasserart, wurde im Bereich der sandigen Buhnenfelder nachgewiesen.

Das FFH-Gebiet liegt im zentralen Teil des EU SPA. Es besitzt insgesamt eine herausragende Bedeutung für Brut- und Gastvögel, insbesondere als ein Vorkommensschwerpunkt von Knäkente (Anas querquedula) und Kiebitz (Vanellus vanellus). Im Bereich der Alten Elbe Bösewig befinden sich die letzten regelmäßig besetzten Brutreviere des Großen Brachvogels (Numenius arquata) an der Mittelelbe, während die Uferschnepfe (Limosa limosa) hier nur noch ausnahmsweise zu brüten versucht. Fischadler (Pandion haliaetus) und Seeadler (Haliaeetus albicilla) horsten im Gebiet und während der Zugzeiten durchwandern zahlreiche Wat- und Wasservögel die Elbeaue, vor allem im Bereich der Alten Elbe Bösewig. Dort rasten und überwintern mehrere Tausend Saat- und Blässgänse (Anser fabalis, A. albifrons) sowie Hunderte Singschwäne (Cygnus cygnus) und Kampfläufer (Philomachus pugnax). Die Alte Elbe Bösewig ist seit längerem auch ein Rast- und Schlafplatz für Hunderte Kraniche (Grus grus), von denen ein Teil regelmäßig im Gebiet übersommert. Auch Schwarz- und Weißstorch (Ciconia nigra, C. ciconia) werden regelmäßig in bedeutender Zahl beobachtet. Zitat Ende

Diese Angaben verdeutlichen nach Auffassung die Bedeutung der Elbaue bei Wittenberg als zentralen Teil des FFH-Gebietes und des Landschaftsschutzgebietes, welche zudem noch zentraler Bestandteil eines europäischen Vogelschutzgebietes sowie des zum UNESCO international anerkannten, länderübergreifenden Biosphärenreservates „Flusslandschaft Elbe“ gehörenden 125.743 ha großen Biosphärenreservates „Mittelelbe“ sind.

Eine derartige ökologische und landschaftsprägende Schutzwürdigkeit lässt sich nach Meinung des AHA keinesfalls mit der am Wochenende vom 27. bis 28.05.2017 geplanten gigantischen Veranstaltung der Evangelischen Kirche vereinbaren. Für den AHA ist es zudem enttäuschend, da Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland bisher immer wieder erfreulicherweise als Verfechter und Mittler des Schutzes und Erhaltes der Elbe, ihrer Aue und Nebengewässer eingetreten sind bzw. eintreten.

Die Elbe mit ihrem Einzugsgebiet im Umfang von 148.268 Quadratkilometern gehört nach Donau, Weichsel und Rhein zu dem viertgrößten Flusseinzugsgebiet Mitteleuropas und ist damit etwa doppelt so groß wie die Fläche des Freistaates Bayern. Damit verdeutlicht sich zudem die europäische Bedeutung des Stromes Elbe, ihrer Auen und ihres Flusseinzugsgebietes. Zudem fungiert die Elbe und ihr Flusseinzugsgebiet als gigantischer Raum des Biotop- und Grünverbundes sowie klimatisch gesehen als Kaltluftentstehungsgebiet und –verbreitungsraum. Nur strenger Schutz und eine darauf abgestimmte Nutzung des Elberaumes können diesen Zustand sichern oder womöglich gar verbessern.

Nach Auffassung des AHA steht der für das Wochenende vom 27. bis 28.05.2017 geplante evangelischen Open- Air-Gottesdienst auf den Elbwiesen in der Lutherstadt Wittenberg dem dringend notwendigen Schutzanliegen eindeutig entgegen.